Stoff ist da, aber wie weiter? Eins ist klar: Die Schere anzusetzen und einfach loszuschneiden, ist schon mal keine gute Idee. Zuerst sollte man wissen, was man am Ende haben will. Soweit, so klar.
Erstmal ausmessen
Damit das fertige Kleidungsstück aber auch richtig sitzt, ist es wichtig, sich selber vorher auszumessen. Das gilt selbst, wenn man kein fertiges Schnittmuster verwendet, denn sonst zwickt es nachher an der einen Stelle und beult an der anderen. Noch wichtiger ist es, wenn man keine fertige Vorlage hat.
Bei den Hochmittelaltersachen, die ich nehme, ist genau das meist der Fall. Jedes Kleidungsstück ist ein Unikat, das speziell auf den Träger angepasst wird. Zum Glück sind die Grundschnitte einfach. Sie basieren auf einfachen geometrischen Formen; vorwiegend auf Drei- und Rechtecken. Um diese zuzuschneiden braucht man oft nicht einmal Schneiderkreide (obwohl die sehr hilfreich ist), es geht auch, wenn man nur Maßband, Stecknadeln, Nähnadel und Faden zur Verfügung hat. Im Grunde genommen ist sogar das Maßband überflüssig, denn man könnte das Ausmessen auch mittels einfacher Fäden erledigen. Das Maßband hat lediglich den Vorteil, dass man die abgenommenen Maße aufschreiben kann, um sie eventuell später noch einmal zu verwenden.
Für den richtigen Sitz des Kleidungsstücks sind folgende Maße besonders wichtig:
Für Tuniken und Kleider:
- Die Länge von der Schulter bis … (hier kommt es darauf an, wie lang das Teil später werden soll.) Wichtig ist gerade bei Frauen, sowohl die Länge über den Rücken, als auch über die Brust zu messen.
- Der Umfang des Brustkorbs an der stärksten Stelle
- Die Länge vom Handgelenk bis zum Schultergelenk
- Der Umfang der eng zusammengelegten Hand
- Der Umfang des Oberarms
- eventuell der Umfang des Hinterns (auch wieder an der stärksten Stelle gemessen) und der der Taille (aber nur bei taillierten Stücken)
Für Beinlinge (ohne Fußteil):
- Beinlänge vom Knöchel bis zum Ende des Oberschenkels (überm Knie gemessen)
- Abstand Knöchel – Mitte Oberschenkel
- Umfang Ferse – Knöchel bei gestreckten Zehen (das ergibt den Wert für die schmalste Stelle)
- Umfang Oberschenkel (an der stärksten Stelle gemessen)
Für Bruchen:
- Länge Taille – Kniekehle (für Bruchen des Hochmittelalters, spätere fallen knapper aus!)
- Umfang des Oberschenkels (der wird zur Ermittlung des benötigten Stoffs für eine Beinröhre mindestens mit 1,5 multipliziert)
Die Taille spielt wegen des weiten Schnitts nur für die Länge des Bruchenbands eine Rolle
So, alle Maße sind genommen und notiert. Für den Anfang ist es sinnvoll, sich mit Hilfe von Papier, Müllsäcken oder billigem Stoff einen Probeschnitt zu erstellen, dessen Passform man gegebenenfalls noch einmal verändern kann. Papier- bzw. Müllsäcke klebt man mit Klebestreifen an den wesentlichen Stellen, Stoff heftet man mit Stecknadeln oder langen Heftstichen aneinander.
Alles passt? Wunderbar, dann geht’s jetzt ans Eingemachte!
Übertragen der Schnittmusterteile auf den Stoff
Hier gibt es jetzt zwei Möglichkeiten:
- Wenn man mit vorgefertigten Schnittmustern arbeitet, legt man die auf den Stoff und ummalt sie mit Nähkreide.
Dabei sollte der Stoff wirklich glatt liegen, d.h. weder Falten aufweisen, noch verzogen sein.
Wichtig ist, auf den Fadenlauf zu achten, d.h. im Regelfall sollten die Schnittmusterteile der Länge nach parallel zu den Kettfäden des Stoffs liegen.
Wenn man moderne Kleidung nähen will, muss man außerdem auf den Musterrapport achten, d.h. die Stücke so anordnen, dass sich möglichst kein Versatz ergibt. Bei historischen Kleidungsstücken wurde darauf nur in Ausnahmefällen geachtet: Der Stoff war bis zur Industrialisierung schlicht zu teuer, als dass sich die Mehrheit die damit einhergehende „Verschwendung“ hätte leisten können. Andererseits muss man genügend Nahtzugabe einplanen, d.h. die Stücke dürfen auch nicht zu dicht aneinander liegen und sich keinesfalls berühren! Als Nahtzugabe nimmt man – je nach Stoffart, Kleidungsstück und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten 0,5 – 2 cm.8
Bevor man jetzt losschnibbelt, ist es sinnvoll, die mit der Nähkreide gezogenen Markierungen zu fixieren. Beim Ausschneiden kann die Kreide nämlich aus dem Stoff rieseln – und dann findet man seinen Schnitt nicht wieder. Um die Markierungen zu fixieren wird der Stoff „gereiht“, d.h. man nimmt einen möglichst stark mit dem Stoff kontrastierenden Faden und näht die Markierungen mit langen Stichen nach. - Wenn man ohnehin nur mit geraden Linien arbeitet, kann man sich den Teil mit dem Aufmalen auch schenken. Dann ist es allerdings wichtig, die Nahtzugaben im Kopf zu behalten und von Beginn an bei der Bemessung zu berücksichtigen.
Dabei geht man von rechteckigen Teilen aus, die gegebenenfalls später noch in Dreiecke (z.B, für seitliche Geren in Tuniken) zerlegt werden können.
Bei leinwandbindigen Stoffen kann man die spätere Schnittführung auch dadurch markieren, indem man an den entsprechenden Markierungen Fäden auszieht.
Zuschnitt
Je nachdem, wie man vorher vorgegangen ist, gibt es auch hier zwei Varianten:
- Bei Variante 1 schneidet mit einem Abstand von ca 1 – 2 cm entlang der gereihten Markierungen (Nahtzugabe!).
- Bei Variante 2 schneidet man die Rechtecke auf der Markierung und zerlegt diese gegebenenfalls später.
Für die Zerlegung in Dreiecke breitet man das rechteckige Stoffstück glatt aus, markiert mit einem Faden die Schnittlinie (auch hier muss man die Nahtzugabe beachten, darf also nie von Ecke zu Ecke schneiden, sondern immer ein Stück daneben beginnen und ein Stück davor aufhören).
Damit wäre der Zuschnitt abgeschlossen. Jetzt kann es mit dem Heften und Nähen weiter gehen.
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